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In den Minen von Potosí
Angst flackert in den Augen meiner Freundin, als ich sie durch den Felsspalt hieve. Auf ihrem Kopf ein gelber Helm mit Lampe, um ihren Leib ein Gummimantel, an ihrem Gürtel ein Beutel Kokablätter, um uns herum Dunkelheit. So eng ist die Höhle, dass wir nicht aufrecht sitzen können. Furchige Balken stützen den Tunnel, aus der Ferne hören wir ein betäubtes Hämmern.
Wir besichtigen eine Mine in Potosí, der Stadt unter dem legendären Silberberg. Um 1650 die größte Stadt Amerikas, reicher als Paris und Sevilla, das kräftig schlagende Herz des spanischen Kolonialreichs. Bis 1660 treffen in Sevilla knapp 17 Millionen Kilo Silber ein und finanzieren zeitweilig die Hälfte der spanischen Staatsausgaben. Und heute? Ist Potosi eine verblühte Boomtown in baumloser Ödnis, 4000 Meter über dem Meer.
P'utuqsi, „Lärm“ auf Quechua, hatte uns mit Blasmusik empfangen. Tag und Nacht marschierten Kapellen durch die Straßen. Das landesweite Treffen der Schul-Orchester blies uns einen Radetzky-Soundtrack, zu dem wir die Stadt bestaunten: die blumenprächtig gemeißelten Kirchenportale, den rosafarbenen Kegel des 4800 Meter hohen „Reichen Berges“, die Dynamitstangen auf dem Bergleute-Markt. Panflöten? Vergiss es.
Kalt war der Maimorgen, an dem wir in die Mine stiegen. Im Kloster „Compañia de Jesus“ hatten sie uns sieben Decken aufs Bett gelegt. Mit schwerer Brust, der Höhe geschuldet, hatten wir miserabel geschlafen. Die Duschen waren eingefroren. Doch wer duscht sich schon, wenn er in eine Mine kriechen will?
Bald hinter dem Tor empfängt uns der Teufel persönlich. Eine gehörnte Lehmfigur, bedeckt mit Kokablättern, Luftschlangen, Bierdosen. Der Tío, „Onkel“, ist der Schutzpatron der Bergleute, Satan und Gott des Reichen Berges. Wir verstreuen Kokablätter, und kriechen in ein Labyrinth aus steilen, in unmöglichen Winkeln gewundenen Tunneln. Immer heißer wird es, wir stoßen uns den Kopf, wir schürfen uns die Knie auf, husten Staub. Unvorstellbar, wie ein Mensch hier mehrere Jahre überleben kann.
Schweigsam hat die Welt uns wieder. Im gleißenden Berglicht demonstriert ein Zug Cholitas für bessere Schulen. Eine Folkloregruppe posiert zum Foto, Neonfarben strahlen. Auf dem Tonnendach der Kirche La Merced lassen wir uns einen Kaffee servieren. Gerade noch in der Grube, schweift unser Blick nun über die maurischen Erker der Altstadtgassen zum Kegel des Cerro Rico. Malerischer, verdammter Berg. Hilmar Poganatz